Montag, 3. Oktober 2016

Von Schluchten, Vulkanen, Meer und dem ganz kleinen Drama

Jajaja, es steht 1,75:1,25! Und ja, ich habe eine Nacht gebraucht, um wieder einigermaßen zu Kräften zu kommen, um zu schreiben.

Am Tag 3 sah die DoRM eine Wanderung um vier Nebenkrater des Ätna vor. „Du musst aber auch sagen, was Du machen willst!“ hatte der Chef de Mission vor ein paar Tagen nachdrücklich gesagt. Also haben ich den Wunsch geäußert, in die Gole dell‘ Alcántara zu fahren, um die Basaltschluchten mit wilden Wassern zu sehen. Ein Fehler, wie sich gestern beim Frühstück herausstellte. Die ganze Großzügigkeit funktioniert nämlich nur als PlusProgramm. Damit stand das Programm für den Tag wie folgt fest: vormittags Gole dell‘ Alcántara, am Nachmittag eine 12km-Wanderung um die Nebenkrater und am Abend ein Besuch des Strandes von Taormina mit Abendessen an einer Strandbude. Wir waren noch gar nicht losgefahren da hatte ich schon Muskelkater.

Auf dem Weg zu den Schluchten gab es zwei Stopps. Der erste am Jugendstilbahnhof im Nachbarort, in dem vormals gekrönte Häupter, Prominente, Dandys und Bohemian dem Zug aus London entstiegen. Heute hielt hier nur die Regionalbahn, aber es ist ein wunderbares Kleinod der Transportgeschichte. Hinter den Gleisen beginnt das Meer. Den zweiten Stopp legten wir am Mini-Markt am Weg ein, um ein Brot für die importierte Stracke zu kaufen. Die Italiener kennen sich einfach nicht aus, mit dieser Art der Wurstherstellung!

In den Schluchten waren wir dann schwer beeindruckt von den bizarren Formationen des Basalts. Erst sahen wir uns alles von oben, aus einem geologisch-botanischen Garten aus, an. Dort hatten wir seltsame Begegnungen mit landestypischen Zwergelefanten, Krokodilen und Mini-Tyrannosaurus-Rex. Außerdem knallt uns die Sonne so auf den Pelz, dass wir uns bei bestem Willen nicht vorstellen konnten, wie das wohl im Sommer sein müsste. Dann ging es abwärts. Die Treppen durften wir nicht benutzen, weil wir beim falschen Anbieter Karten gelöst hatten. Mussten wir leider, leider den Lift nehmen. Unten angekommen konnten wir unsere Füße bei einem kurzen Spaziergang im Flussbett in die Schlucht hinein abkühlen. Wer kann sich nicht an die warnenden Worte seines Fahrlehrers erinnern, wenn Wasser auf Basalt traf: Achtung! Unsere Haltungsnoten waren auf jeden Fall spitzenmäßig. Und es war heiß, so dass auch alles schnell wieder trocknete.

Dann ging es über ein außergewöhnlich leckeres Pistazien-Eis zu den Nebenkratern.

12 km- waren angesagt. 5 km hatten wir schon in der Schlucht gesammelt. Wir einigten uns darauf, etwas abzukürzen, sodass wir einen Krater vorn umrunden würden, anstatt von hinten. Das brächte eine Ersparnis von 2 km. Summa summarum lagen damit 10 km vor uns. Soweit der Plan und meine heimliche Genugtuung, der DoRM ein Zugeständnis abgerungen zu haben! Also los.

Durch eine völlig andere Landschaft als gewohnt, stiefelten wir den Weg entlang. Auf der Karte am Eingang waren die einzelnen Wanderwege farblich gekennzeichnet. Kennt man ja. Aber bereits an der ersten Gabelung war dieses prima Konzept der Farbkodierung aufgegeben worden. Mit ein wenig logischem Verstand versuchten wir, das Rätsel an jeder der Kreuzungen zu bewältigen. Ja gut, hier und da mussten wir auch wieder ein Stück zurückgehen, weil wir merkten, dass wir da irgendwie doch einen Denkfehler hatten. Alles kein Problem. Solange abgerissene und massakrierte Pilze in regelmäßigen Abständen auf dem Weg lagen, schien mir alles in Ordnung, weil: da war ja schon mal jemand heute lang gelaufen. Kein Grund zur Panik.

Wir überquerten einen alten Lavastrom und kamen an die Stelle, wo wir die Abkürzung beschlossen hatten.  Frisch und froh rechts abgebogen. Ein breiter Weg lag vor uns. Alles schien in Ordnung. Wir stiefelten vergnügt weiter.

Als erste bemerkte ich, dass ich schon lange keine marodierten Pilze gesehen hatte. Dann wurde der Weg schmaler. Und noch ein wenig schmaler und gleich darauf standen wir mitten im Wald.  In unserem Rücken, vom Ätna kommend, ein lauter werdendes Grummeln, das nicht mehr als Gewitter zu verleugnen war. Und da waren wir, der CdM, ich, der Wald, tadellos intakte Pilzkolonien und ein schweres Gewitter. Der Stoff, aus dem griechische Tragödien sind!

Ich entschloss mich einfach ganz, ganz, ganz fest auf die Zusatzqualifizierung des CdM zum Major Reiseleiter zu vertrauen. Ganz fest! Mit dem Garmin-Navigationsgerät in der Hand, auf welchem ich nur Wetterdaten zu erkennen in der Lage war – hätte aber auch evtl. das Ultraschallbild eines Knies sein können, für eine valide Festlegung hätte ich etwas mehr Zeit gebraucht-, stapfte der CdM die „Internationale“ pfeifend zuversichtlich durch das Dickicht. Ich folgte. Mein Soundtrack war allerdings: „Hänsel und Gretel …“. Nach ein paar Zäunen, die wir überkletterten und Dornen, die das eine oder andere Bein wund rissen, einem wiederholten Überschlagen der mitgeführten Wasser- und Essensvorräte in Korrelation der  zu erwartenden Zeit, die wir in derWildniss verweilen würden, erreichten wir nach einer endlosen Zeit von 15 Minuten wieder einen großen Weg. Glück gehabt. Eine gute Übung zur Stärkung meines Vertrauens in meine Mitmenschen.
Mir schien es, als hätte ich auch eine gewisse Erleichterung beim Chef de Mission wahrgenommen. Auf jeden Fall verstummte die Endlosschleife von „Völker hört die Signale! Auf zum ... (ihr wisst schon)“ 

Wir stapften also weiter. Sorgsam Kleinstwege meidend und kamen nach 14km, kurz vor Sonnenuntergang wieder am Auto an. In meinem Ohr die Worte meiner Tante Feinfeinfein: „Und, was lernt Dich das?“ – NIE einmal erworbene Grundweisheiten außer Acht lassen. Wir wissen doch nicht erst seit gestern: KEINE ABKÜRZUNGEN! Auch keine auf eigenen Wunsch. Am Ende latscht man 4 km mehr. Immer!

Auf der Autofahrt zurück war etwas Zeit zum Entspannen. Aber kaum in unserem netten B&B zurück, wurde in die Hände geklatscht und gerufen: Auf, auf ans Meer! Taormina ist wie ein Schwalbennest hoch über dem Strand, an einen Felsen gebaut. Zum Glück war die dort zur Verfügung stehende Seilbahn schon fest eingeplant. Etwas Kleines am Strand essen und mit den Füßen noch 2 – 3 Meter durch den kühlen Sand und das nächtliche Wasser waten. Das schien machbar. Also los!

Unten angekommen, wurde noch schnell ein Bier als Wegzehrung erworben und los zum Strand. Bloß wo war der nur? Ich sah auf jeden Fall nix dergleichen, sondern nur Häuser, Häuser, Häuser. Der CdM stiefelt mutig die Straße nach rechts, natürlich bergan, dann links auf eine Treppe zu. Hochalarmiert war ich gerade dabei zu denken: Er wird doch …. Schwubs war er auf der Treppe verschwunden und hatte bereits die Hälfte erreicht, als ich überhaupt dort ankam.

Wer Erfahrungen im Bergwandern hat, weiß, dass Treppen hinab zu steigen extrem schmerzvoll sein kann. Sehr schmerzhaft. sehr, sehr, sehr, sehr und sehr-n+1. Ich legte also meinen ganzen Unmut und Protest in meinen Gesichtsausdruck und ließ mich dann 137 Stufen einzeln hinabplumpsen.

Unten war ein stockdunkles Meer, ein nächtlicher Juppystrand mit Flutlichtern im Hintergrund die Belohnung. Super. Und überhaupt, wo war der Sand? Da lagen nur Steine? Soooo sauberes Wasser schwärmte der CdM. Konnte man bei der Dunkelheit doch gar nicht erkennen. Eins zwei fix schnappte sich der Chef de Mission zwei der Yuppi-Liegen und streckte sich auf einer davon absolut zufrieden und glücklich aus. Mit der rechten Hand einladend auf die zweite Liege klopfend.

Ich schwöre, nur weil ich so entkräftet war, legte ich mich hin. Glaubt mir, es war Notwehr und dann brauchte ich eine gewisse Zeit, um wieder hoch zu komme.Während der CdM neben mir davon schwärmte, wie entspannt und wunderschön es hier wäre, hatte er keinerlei Ahnung von den 3-5 Mordplänen, die in meinem Hirn langsam Gestalt annahmen, wärend ich darauf wartete, dass meine Kräfte wieder zurückkommen würden. Wenn ich es nur irgendwie die 137 Stufen wieder hinaufschaffen würde.

Aber starke Gefühle setzen ja bekanntlich ungeheure Kräfte frei. So gelang es mir, unter selbstmitleidigem Schimpfen und ausgiebiger Schlechtmacherei wieder ins Sitzen zu schaffen. Und kaum wurde ein kleines Signal in Richtung Aufbruch gesetzt: hoch die Treppen, in die Seilbahn, ab in Bett, noch ein bissel Selbstmitleid, Augen zu.

Wer will schon so `nen blöden Tagespunkt.


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