Ich hatte mich ja schon seit einiger Zeit gefragt, ob mit dem Chef de Mission wirklich alles in Ordnung ist. Seit Tagen, eigentlich Wochen, war um ihn nur Stein und Stadt und ich und wir. Der Zeitpunkt, von all dem die Nase so richtig gestrichen voll zu haben (also seine Nase, nicht meine), war doch schon seit gefährlich langer Zeit überschritten. So war ich darauf vorbereitet, als es dann hieß: "Ich kann keine Steine mehr sehen. Ich habe genug!" Und zu meinem großen Erstaunen war auch die LoPol*in völlig dieser Meinung (Wir erinnern uns: Sie hatte ja schon Palermo und Cefalu nachgeholt). Und jetzt stelle man sich vor, dass keine weiteren Worte notwendig waren. Traute Einigkeit bei minimalem Argumentationsaufwand. Ich war platt.
Aber wir wissen, ja, wie es um die Enden der Gaußschen Kurve bestellt ist. Alles im grünen Bereich. Einmal aufgestellte Theorien aufgrund ausführlichster und sorgfältigster empirischen Studien mussten wegen eines so kleinen Ausreißers nicht über den Haufen geschmissen werden. Aber ich beschloss, das im Auge zu behalten. Bei 3 musste man ja von einer Serie und damit von der Hinfälligkeit meiner schönen Theorie ausgehen. Das wäre ja eine schöne Pleite. Müsste ich noch einmal denken. Nein, nein, nein, dass wollen wir nicht. So im Urlaub hat man ja andere Dinge zu tun.
Andere Dinge tun, wie z.Bsp, über Alternativen zu Stadt, Stein, Barock und Griechen etc. pp. nachzudenken. Nach längerem hin und her zwischen AufwachKaffee, Frühstück, Kofferpacken und Verabschiedungsritual von Klaus und Klaus, den beiden äußerst braven, aber riesigen Hunden unserer B&B-Gastgeberin, hatten wir uns zur Wanderung in den Schluchten der Monti Iblei mit Besichtigung der Gräberstadt von Pantalica entschlossen. (Klang ja irgendwie wie Metallica, vielleicht Metal auf der Panflöte = Pan Tallica)
Die DoRM hielt für diesen Fall natürlich eine vorgeplante Wanderroute parat. Da die Diskussion zum Thema: Wohin? doch einige Zeit in Anspruch genommen hatte und die Wanderung - mindestens zweien von uns dreien - übertrieben lang vorkam, entschieden wir uns für die Hälfte der Strecke.
Nach einer guten Stunde Fahrt waren wir auf dem Parkplatz und machten uns auf den Weg. Wir hatten genau 2,5 Stunden, denn wir mussten pünktlich um 19 Uhr in unserer Unterkunft in Catania sein. Es ging bergab!! Der gut unterrichtete und aufmerksame Leser sieht hier genau die roten Alarmsignale, die mir an dieser Stelle leider entgangen sind. Ohne Arg stiegen wir in die Schlucht hinab. Unser Weg führte uns vorbei an Bestattungshöhlen. In dem ganzen Gebiet sollen es 9000 Stück sein. Schweizer Käse also. Der CdM war begeistert, der Rest damit beschäftigt, jedem Wegweiser eine peinlichst genaue Prüfung zu unterziehen: Immer schön auf dem vereinbarten Weg bleiben. In praller Sonne war das eine echte Herausforderung. Aber wir schafften es in die Talsohle.
Hier hieß es links abbiegen und weiter durch den Tunnel und bis zum nächsten Tunnel. Vor diesem allerdings wieder links abbiegen. Die LoPol*in und ich gingen vor. Der CdM war hinter uns. Was an sich schon verwunderlich war.
In den vergangenen zwei Wochen habe ich den Chef de Mission hauptsächlich von hinten gesehen, weil er immer mit großen Schritten voran stürmte. Auch wenn ich zugebe, dass es weit schlechtere Ausblicke gibt, war mir der Sinn nie ganz klar geworden. Da aber unser Gehirn (und meins schient dafür besonders ausgelegt zu sein) nun mal so gebaut ist, dass es neue, unbekannt Informationen irgendwie an vorhandenes Wissen anknüpft, denke ich, dass er einfach nach der besten Eisdiele ausschau hielt oder einfach pünktlich zur Stelle sein wollte, falls eine gefährliche Straßenkatze aus dem Hinterhalt über uns herfallen wollte. Oder falls die Phönizier mal gerade jetzt wieder ein Versuch unternehmen würden, sich die Insel unter den Nagel zu reißen. Irgend sowas muss es sein Vielleicht suchte er aber auch nur nach einem Fluchtweg?! Das muss offen bleiben.
Zurück zum Tunnel 2: Wir sahen vor dem Tunneleingang den beschriebenen Wanderweg. Mit der überaus überraschenden Sachlage, dass der CdM ca. 15- 20 Meter hinter uns ging und unserer geheimen Fähigkeit zum Kartenlesen gepaart mit einem verzweifelten Anflug von größenwahnsinniger Bereitschaft zum absoluten Risiko. Ein Blick zwischen der LoPol*in und mir genügte und wir waren bereit alles zu wagen und einfach geradeaus in den durch den Tunnel zu gehen. 500m-Weg-Ersparnis winkten. Wir waren uns ohne Worte darüber im Klaren, dass diese Entscheidung von uns ein Maximum an Eigeninitiative, Frustrationstoleranz, Angstbeherrschung, Mut und vor allem die Bereitschaft zur Akzeptanz eines etwaigen Scheiterns und dessen Folgen forderte. Aber wir schritten mutig voran, denn eine zweite Chance würde es nicht geben. Der CdM so weit hinter uns, zwei gegen einen. LOS!
Als der CdM die Lunte roch, waren wir schon in der Mitte des Tunnels. Wir waren siegessicher. Der CdM, der alte Fuchs, analysierte die Lage blitzschnell, wog seine Optionen ab und fand die schwächste Stelle im Plan. "HAAAA-LLOOOO! HAECKLA! Ihr seit falsch!" Durch diese gezielte, unüberhörbare und höchstpersönliche Ansprache brachte er unsere Mission zu Fall. Die LoPol*in rief noch "Nicht hinhören! Das war nur ein Rauschen im Bach!". Nach Blitzeinschätzung der Lage ihreseits, versuchte sie noch mit einem "Wir gehen NICHT zurück! Wir sind zwei! 500 Meter!!!!" zu retten, was nicht mehr zu retten war. Zu spät: Wir drehten bei, liefen zurück, bogen (jetzt) rechts ab, trotteten geschlagen 2 weitere Stunden über Stock und Stein, hauptsächlich bergauf, hinter dem gut gelaunten CdM her. Holten uns nasse Füße beim durchqueren zweier reißenden Flüssen und erreichten nach zwei bis drei Ewigkeiten entkräftet die Autos.
Dann ging es erschöpft nach Catania. Dort wurden wir allerdings mit einem sehr ausgiebigen und extrem leckeren Essen belohnt.